Blog | Negar Tahmasebi: „Ich will Frauen dabei unterstützen, ein selbstständiges und selbsterfüllendes Leben zu führen“
Negar Tahmasebi hat viel zu sagen — besonders, wenn es um die Themen geht, für die sie brennt: Feminismus, Integration, Rassismus, Neurodivergenz und Behinderung. Als Frau mit Migrationsbiografie kennt sie die Herausforderungen aus erster Hand. In der ABZ*Beratung für Frauen hat sie jene Unterstützung gefunden, die sie für ihren beruflichen Neustart braucht: ehrlich, direkt, auf Augenhöhe und bestärkend. Die ABZ*Beratung für Frauen wendet sich an Frauen mit Fragen und Problemstellungen zu Beruf und Arbeit, die momentan nicht beim AMS gemeldet sind.
Radikaler Wechsel für eine gute Zukunft
Nach gesundheitlichen Einschränkungen und beruflichen Belastungen im Wirtschaftssektor war für sie klar: Sie will Zahlen gegen Menschen tauschen. „Ich habe gemerkt, dass ich mich definitiv von der Wirtschaftswelt verabschieden muss. Die Arbeitsmoral und der unterschwellige Konkurrenzkampf waren nichts mehr für mich“, erzählt sie. Die Entscheidung brachte eine weitere Erkenntnis mit sich: „Ich musste mir eingestehen, dass ich aus finanzieller Sicht wieder auf der untersten Stufe anfangen muss. Als erstgeborene Tochter mit einer Migrationsgeschichte ist das ein harter Schlag.“ Die gebürtige Iranerin kennt das Spannungsfeld zwischen traditionellen Erwartungen und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben. Zuspruch und Klarheit fand sie in der ABZ*Beratung für Frauen. Dort wurde gemeinsam herausgearbeitet, wo ihre Stärken und ihre Leidenschaft liegen. Das Ergebnis zeigte sich rasch. Sie möchte selbst in der Frauenberatung tätig sein und andere Frauen auf ihrem Weg unterstützen. Ihr großer Traum: Einen positiven Einfluss auf das Leben so vieler Frauen wie möglich zu haben.
Austausch, der motiviert
Den Weg dahin geht sie gemeinsam mit ihren Beraterinnen. „Ich finde die Gespräche mit Frau Schönbach großartig, weil es ein angenehmer Austausch ist. Ich fühle mich weder bevormundet, noch habe ich das Gefühl, dass ich einfach nur bestätigt werde. Auch Frau Pokorny ist so eine effiziente Frau, die genau im Blick hat, was noch gemacht werden muss. Das motiviert einen automatisch, auch selber etwas zu tun und zu recherchieren“, berichtet sie euphorisch von der Zusammenarbeit mit ihren Beraterinnen und ergänzt gerührt: „Die beiden sind für mich Mentorinnen.“ Gemeinsam halten sie an ihrem Ziel fest – ohne Plan B, wie sie lachend erzählt: Erst wenn wirklich jede Ressource ausgeschöpft sei, würden sie über Alternativen sprechen. Negar Tahmasebi hofft, dass auch in Zukunft der Kontakt bestehen bleibt.
Wissen teilen, Frauen stärken
Die Kraft und Motivation, die sie in den Beratungen bekommt, will sie in Zukunft auch an andere Frauen weitergeben und dabei ihre eigene Lebensgeschichte und Erfahrung nutzen. Migration und Integration sind Themen, die sie ihr ganzes Leben begleitet haben, sei es in der eigenen Familie, im Freundeskreis oder im schulischen Umfeld. Sie kennt die Herausforderungen, die sich gerade für junge Frauen in der Diaspora ergeben. Bei der Wahl des Studiums, der Kleidung, des Freundeskreises oder des Berufs ist immer eine Frage präsent: Versucht man, seine Eltern glücklich zu machen, mit der Art und Weise, wie man die kulturelle Identität nach außen zeigt, und erfüllt ihre Erwartungen, oder folgt man dem, was man selbst für richtig hält? „Ich würde gerne das Wissen und die Informationen, die ich erlernt und erkämpft habe, an andere Frauen weitergeben und sie dabei unterstützen, ein selbstständiges und selbsterfüllendes Leben zu führen“, sagt sie entschlossen. Sie weiß, wie sehr traditionelle Werte, Schuldgefühle und Erwartungen das Leben von Frauen beeinflussen – und wie sich diese Belastungen von einer Generation auf die nächste übertragen.
Entscheidungsfreiheit für alle Frauen
„Im Patriachat ist man als Frau, besonders in einer traditionell geprägten Familie, den ganzen Tag beschäftigt. Man ist für den ganzen Haushalt und die Kindererziehung verantwortlich und hat definitiv keine freie Minute“, reflektiert sie. Besonders für Mütter in familiären Systemen mit konservativen Geschlechterrollen sei Integration schwierig. Das Selbstverständnis der Frau als Hausfrau und Mutter sitze in den jeweiligen Gesellschaften tief. Sie erklärt, dass sie die unterschiedlichen Haltungen und die dahinterliegenden Lebensrealitäten nachvollziehen kann. Gerade deshalb ist sie überzeugt, dass sich für viele dieser Herausforderungen strukturelle Lösungen finden lassen.
Ehrliche Gespräche auf Augenhöhe
Negar Tahmasebi plädiert für Frauenrunden, die sich an den Lebensrealitäten der Teilnehmerinnen orientieren. Nur so könnten Frauen arbeiten gehen, ohne sich zwischen Familie und finanzieller Unabhängigkeit zu entscheiden: „Ich würde gerne diesen Frauen die Möglichkeit bieten, diese Entscheidungsfreiheit zu haben.“ Gleichzeitig benennt sie offen die Ängste, die viele Frauen in traditionell geprägten Strukturen begleiten: „Ohne Job, ohne Ausbildung, ohne finanzielle Mittel auf der Straße zu landen – das macht extrem Angst. Das kann unter anderem auch sehr starke psychische Belastungen und andere schwerwiegende Konsequenzen mit sich bringen. Deswegen entscheidet man sich gegen das Unbekannte.“
Mit Frauen sprechen, von Frauen lernen
Ihre Motivation teilt sie auch mit ihren Beraterinnen in der ABZ*Beratung. „Ich habe nachgefragt, ob es machbar klingt. Ich habe die Bestätigung von einer Fachperson gebraucht, weil ich in einem Alter bin, wo ich mir ungerne selber vermeidbare Fehlentscheidungen erlauben möchte. Ich habe nicht die Zeit und auch nicht die Ressourcen, um etwas anzufangen und mittendrin zu merken, dass es nicht so realistisch ist. Deswegen wollte ich in eine Berufsberatung speziell für Frauen gehen“, spannt sie den Bogen, wie die ABZ* Beratung für Frauen sie bei der Neuorientierung unterstützt. Für sie ist klar: Frauen müssen mit Frauen sprechen — über finanzielle Möglichkeiten, mentale Gesundheit, Ausbildung und Alltag: „Weil man so miteinander viel verändern und voneinander lernen kann.“
Blick in die Zukunft
Frauen mit Migrationsbiografie rät sie, ihren eigenen Weg zu gehen, auch wenn es anfangs schwerfällt: „Da kann ich aus persönlicher Erfahrung sagen, dass es einem am Anfang vielleicht extrem schwierig vorkommt und teilweise auch schmerzhaft ist gegenüber seiner eigenen Familie, den eigenen Willen durchzusetzen. Aber im Endeffekt kann es eine Chance sein, dass die Beziehung zu den Eltern aufrichtiger wird. Und manche Eltern(teile) durchleben dadurch selbst eine große Veränderung ihrer Persönlichkeitsentwicklung.“ Die Voraussetzung dafür: Die eigene Sicherheit steht immer an erster Stelle. Für die Zukunft wünscht sie, selbst einmal jene Vorbildfunktion einzunehmen, die ihre Beraterinnen heute für sie sind. Sie kennt die Herausforderungen – und trotzdem bleibt sie hoffnungsvoll: „Die treibende Kraft in meinem Leben bisher war immer der Glaube an mich selbst. Ich habe auf meinem Weg zwar einige Lecks verkraften müssen, aber ich konnte, ohne zu sinken, meinen Weg durch das Meer der Ungleichheit fortsetzen“, sagt sie und lacht.