Anerkennung von Kompetenzen in Zeiten des Fachkräftemangels

11.10.2023

Seit zehn Jahren gibt es das ABZ*Frauenberufszentrum Wien und das ist ein Grund zum Feiern: Das Jubiläum wird am Mittwoch, 4. Oktober 2023, im Dachgeschoß der Wiener Urania zelebriert. In diesen zehn Jahren wurden 17.528 Kundinnen in unvorstellbaren 372.168 Stunden beraten, begleitet und betreut. Das ABZ*Frauenberufszentrum Wien bietet beim AMS Wien gemeldeten Frauen aller Altersstufen individuelle und kostenlose Einzelberatung und Workshops an. „Wir unterstützen dabei, erste Schritte in eine neue berufliche Zukunft zu gehen. Ein großes Dankeschön an unsere Fördergeber*in, das AMS Wien. Deren Bundesgeschäftsstelle hat zum Glück früh erkannt, dass es spezifische Frauen-Programme braucht und die Frauenberufszentren konzipiert. Wir feiern heute auch, dass es solche Programme gibt, die die Gleichstellung unterstützen“, sagt ABZ*AUSTRIA Geschäftsführerin Daniela Schallert in ihrer Eröffnungsrede.

Rund 60 Gäste, darunter Fördergeber*innen, Kooperationspartner*innen und Mitarbeiter*innen von ABZ*AUSTRIA haben sich zum Business-Talk mit anschließendem Frühstück versammelt, lassen sich einen Einblick über die Arbeit des ABZ*Frauenberufszentrum Wien der letzten zehn Jahre geben, nützen den Event zum Networken und lauschen den Expert*innen, die der Einladung von ABZ*AUSTRIA gefolgt waren.

Auftaktgespräch

Das Auftaktgespräch führt ABZ*AUSTRIA Geschäftsführerin Daniela Schallert mit dem Sektionsleiter Arbeitsmarkt des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft, Roland Sauer, und dem neuen Landesgeschäftsführer des AMS Wien, Winfried Göschl. „Wie kann man Frauen unterstützen und wie kann man auch Unternehmen dazu bringen, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Vielfalt willkommen ist und in dem Frauen genauso gehört und genauso bezahlt werden wie Männer“, fragt Daniela Schallert. Dass die Kinderbetreuung vor allem am Land ausgebaut gehört, sind sich alle einig. „Es ist ein langer Prozess, Unternehmen sind ein Teil der Gesellschaft, aber der zunehmende Mangel an Arbeitskräften und der damit einhergehende ökonomische Zwang werden hoffentlich dazu führen, dass Unternehmen ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem sich alle willkommen fühlen“, ist Winfried Göschl optimistisch. „Die wichtigste Ressource eines Unternehmens sind die Mitarbeiter*innen“, sagt Roland Sauer: „Unternehmen sollten bei der Frage der Anerkennung von Abschlüssen flexibler sein.“

Podiumsdiskussion

Manuela Vollmann moderiert die anschließende Podiumsdiskussion – die Gründerin von ABZ*AUSTRIA führt die Geschäfte im Top-Job-Sharing-Modell gemeinsam mit Daniela Schallert. Das spannende Thema am Podium: „Von der Doktorin zur Reinigungskraft: Anerkennung von Kompetenzen in Zeiten des Fachkräftemangels – So gelingt erfolgreiche Integration!“ Es diskutieren die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der WU Wien, die Koordinatorin der österreichischen AST-Anlaufstellen für Personen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen, Aleksandra Panek, der neue Landesgeschäftsführer des AMS Wien, Winfried Göschl, die Projektleiterin des ABZ*Frauenberufszentrum Wien, Silvia Flörl, und Abeer Al-Dawoodi, ehemalige Kundin des ABZ*Frauenberufszentrum Wien und Biomedizinische Laboranalytikerin und Verwaltungsbeamtin aus dem Irak.

„Obwohl sich der Fachkräftemangel mittlerweile durch alle Branchen und alle Ebenen zieht, – von der Hilfskraft bis zur Akademiker*in – stehen geflüchtete und migrantische Personen oft vor der besonderen Herausforderung, dass ihre Abschlüsse nicht bzw. nur zum Teil anerkannt werden, ihre Kompetenzen zum Teil unsichtbar bleiben und Nostrifikation oder Nostrifizierung viel Zeit, Geld und auch Know-how erfordern. Gerade für Frauen mit Fluchthintergrund ist das Risiko, einen Job zu bekommen, für den sie überqualifiziert sind, höher als für Männer“, leitet Manuela Vollmann die Diskussion ein.

„Programmieren ist mein Hobby“

Abeer Al-Dawoodi ist seit drei Jahren in Österreich, ihr Bachelor in Biologie wurde zwar anerkannt, die Jobsuche blieb trotzdem erfolglos. Sie plant, Computer Science an der FH Campus Wien, im Rahmen des FiT-Programms des AMS – Frauen in Handwerk und Technik, zu studieren. Sie erzählt in gutem Deutsch, dass sie sich bereits auf viele Jobs beworben hätte – auch ein Praktikum würde sie gerne machen – bekomme aber leider nur Absagen. „Programmieren ist mein Hobby“, sagt Abeer Al-Dawoodi.

Aleksandra Panek von der AST nennt dann gleich eine der größten Hürden, die geflüchteten Frauen die Jobsuche erschweren: „Den Zeitfaktor darf man nicht vernachlässigen, je länger man arbeitslos ist, desto schwieriger wird die Jobsuche. Die Anerkennung dauert lange und kostet Geld. Anerkannt kann außerdem nur das werden, was auch in Österreich angeboten wird, hier werden einzelne Fächer verglichen“.

Auch für Projektleiterin Silvia Flörl ist die Zeit ein wichtiger, nicht zu unterschätzender Faktor: „Die Fluchtgeschichte und schlimme Erlebnisse müssen erst verarbeitet werden, es braucht Stabilität und Orientierung in Österreich“. Flörl findet es schade, dass Berufserfahrung und Kompetenzen in Österreich nicht honoriert werden.

Ankunftseffekt

Judith Kohlenberger von der WU kann ebenfalls nicht nachvollziehen, dass nach „qualifizierter Zuwanderung gerufen wird, aber wenn Qualifizierte zuwandern, können sie ihre Kompetenzen nicht einbringen“. Kohlenberger beschreibt den „Ankunftseffekt oder Arrival effect“: „Der Kinderwunsch wird bei geflüchteten Frauen oft aufgeschoben und erst im sicheren Land realisiert. Der Mutterschutz verzögert dann den Weg zum AMS. „Der Sondertopf, der im Zuge der großen Fluchtbewegung 2015 geschaffen wurde, war zu dem Zeitpunkt, als geflüchtete Frauen nach Monaten oder Jahren in Mutterschutz und Karenz dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen, schon wieder aufgebraucht. Aufgrund von Kinderbetreuung und Sorgepflichten findet die ökonomische Integration von Frauen oft zeitlich verzögert statt.“

Migrationsforscherin Kohlenberger erzählt von einer Fokusgruppe, die sie für ihre Studie „Geflüchtete Frauen in Österreich: Geschlechtsspezifische Aspekte der Integration und Teilhabe“ befragt hatte: „Die syrischen Männer klagten über Langeweile, und dass sie zum Nichtstun verurteilt waren. Die syrischen Frauen hatten dagegen unglaublich viel Stress. Sie leisteten die Sorge- und Integrationsarbeit für die ganze Familie“.

Diskriminierungserfahrungen

Am Schluss diskutiert die Expert*innenrunde noch über Diskriminierungserfahrungen von Frauen, die Kopftuch tragen und deshalb in der Öffentlichkeit viel sichtbarer sind als Männer mit Migrationshintergrund. „Das Kopftuch abzulegen ist für manche nicht einfach“, sagt Winfried Göschl vom AMS, er würde es aber empfehlen: „Die Gesellschaft ist noch nicht so weit“.

„Es geht viel zu oft darum, was Frauen anhaben“, so Judith Kohlenberger und Abeer Al-Dawoodi bestätigt: „Ich bringe gerne meine wissenschaftliche Erfahrung ein, aber auf meinem Lebenslauf bin ich mit Kopftuch zu sehen, das mindert meine Chancen“.

Mehr Fotos gibt es hier, bitte kontaktieren Sie mich, falls Sie eines der Fotos in größerer Auflösung brauchen: ulrike.biberschick@abz-austria.at