Blog | Eine Erfolgsgeschichte: Interview mit Iryna D`jakonova

18.10.2022
Porträtfoto Iryna Dyakonova

Iryna Dyakonova: "Ich freue mich, dass ich die Möglichkeit habe, Menschen dabei zu helfen, sich selbst zu organisieren sowie ihre eigenen Lebensziele und beruflichen Prioritäten zu gestalten"

Die Ukrainerin Iryna D`jakonova wurde gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Wie es ihr in Österreich geht, hat sie Maria Brandt erzählt.

Maria Brandt: Iryna, wir wissen, dass Du nicht freiwillig nach Wien gekommen bist, sondern gemeinsam mit Zehntausenden von Menschen, die gezwungen waren, ihre Heimat in der Ukraine zu verlassen… Wie hat dich Österreich empfangen?

Iryna D`jakonova: Es war wahrscheinlich der schwierigste Moment in meinem Leben, in dem ich eine sofortige Entscheidung treffen musste, die uns nicht nur retten sollte, sondern auch mein zukünftiges Leben, das Leben meiner Kinder und meiner Lieben bestimmen würde. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich in einem Moment der Verzweiflung die Kraft finden musste, um Hilfe zu bitten. Das habe ich getan. Heute bin ich dem Schicksal unendlich dankbar, dass mir mein Studienfreund, seine Familie und deren Freunde diese helfende Hand gereicht haben. Schon in den ersten Tagen des März 2022 wurde deutlich, dass sich eine Vielzahl von Menschen und Gemeinden in Österreich für die vertriebenen Menschen engagieren. Die organisierten Aktionen zur Einrichtung von Registrierungs- und Aufnahmezentren für Vertriebene, die Informationsunterstützung, all diese Aktionen machten klar, dass Wien und Österreich als Ganzes unterstützend wirken. Ich war endlich an einem Ort, an dem man sich sicher fühlen kann.

M.B.: Hattest du schon Erfahrung mit dem Leben in Österreich oder sonst im Ausland?
I.D.: Für mich persönlich ist Wien seit mehr als 20 Jahren eine Stadt, wo man selbst beim Herbstregen Wärme empfindet. Es ist eine Stadt, wo man gut Gedanken sammeln und über Pläne nachdenken kann. Es ist eine europäische Hauptstadt, wo eine Vielzahl der Völker und ethnischen Gruppen koexistieren, wo kulturelle, soziale, wissenschaftliche Traditionen und Werte gepflegt und weiterentwickelt werden. Ich war mehrmals in Wien, mal zu Studienzwecken, mal als Touristin, ich fuhr durch Österreich auch, als ich andere Länder Europas besuchte. Ich bin mit der Mentalität dieser Gesellschaft vertraut und verstehe die kulturellen Traditionen sehr gut.

M.B.: Erzähle uns bitte, was hast du in der Ukraine vor dem Krieg gemacht?
I.D.: Bis vor dem Beginn des Krieges war mein Leben in der Stadt Sumy äußerst intensiv, es war buchstäblich jede Minute verplant. Ich widmete mich sowohl der Arbeit an der Universität als Professorin des Lehrstuhls für internationale Wirtschaftsbeziehungen als auch der aktiven Öffentlichkeitsarbeit als Abgeordnete des Landesrates. Ich habe sowohl an der Universität als Professorin für internationale Wirtschaftsbeziehungen als auch als aktives Mitglied des Regionalrats viel Zeit und Energie investiert. Die vielleicht bedeutendste öffentliche Tätigkeit war für mich die Entwicklung von Frauengemeinschaften in unserer Region. Unsere soziale und politische Bewegung zielte darauf ab, Frauen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen, häusliche Gewalt zu bekämpfen und die Beteiligung von Frauen in allen Tätigkeitsbereichen unserer Region zu stärken.

M.B.: Wie verlief deine Jobsuche in Wien? Welche Schwierigkeiten hattest du? Gab es etwas, was dich überrascht hat, was du nicht erwartet hast?
I.D.: Meine Hauptaufgabe bei der Arbeitssuche in Wien bestand darin, diesen Prozess so systematisch und konsequent wie möglich zu gestalten und dabei alle mir bekannten Regeln, Traditionen und modernen Ansätze zu berücksichtigen. Ich habe viel Zeit mit der Erstellung meines Lebenslaufs verbracht und mein Motivationsschreiben jedes Mal sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst verfasst. Dabei kann die Hilfe meiner Beraterin der ABZ*AUSTRIA, Maria Brandt, kaum überschätzt werden.  Die Beratung und Anleitung waren sehr wertvoll und produktiv. Leider mussten wir unseren Wohnsitz wechseln und nach Niederösterreich ziehen, wir stellte unsere Zusammenarbeit zwar ein, aber das gute Verhältnis und der Respekt blieben für immer. 
Die erste und wichtigste Schlussfolgerung, die ich zu Beginn meiner Arbeitssuche zog, war jedoch, dass es unerlässlich ist, Deutsch auf hohem Niveau zu sprechen. Es war offensichtlich und wichtig. Deshalb habe ich die Gelegenheit zum Sprachenlernen, die uns der ÖIF bot, dankbar genutzt. 
Was den Arbeitsmarkt in Österreich im Allgemeinen betrifft, so sehe ich seinen größten Vorteil in seiner Offenheit. Auch die Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger, sich weiterzubilden und umschulen zu lassen, sowie die Weiterbildungsmöglichkeiten für Erwachsene sind sehr gut.

M.B.: Iryna, glaubst du, können deine Kompetenzen, deine frühere Arbeitserfahrung in deiner jetzigen Tätigkeit weiterhelfen? Wenn ja, dann, wie?
I.D.: Mich inspiriert die Tatsache, dass meine frühere Berufserfahrung nicht nur bei meiner Arbeitssuche eingesetzt wurde, sondern mir auch heute noch hilft, meine Arbeitsaufgaben zu erfüllen. In den letzten Jahren habe ich Studentinnen und Studenten die Regeln und Techniken der Arbeitssuche, der Gestaltung und der Umsetzung einer beruflichen Laufbahn vermittelt. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten helfen mir heute bei meiner Arbeit im ABZ*AUSTRIA Ich freue mich, dass ich die Möglichkeit habe, Menschen dabei zu helfen, sich selbst zu organisieren, ihre eigenen Lebensziele und beruflichen Prioritäten zu gestalten und mit ihnen gemeinsam den Prozess der Eingewöhnung, Integration und Arbeitssuche in Wien zu durchlaufen.

M.B.: Du arbeitest erst seit ein paar Wochen bei ABZ*AUSTRIA. Wie läuft die Interaktion mit dem Team und mit der Leitung?
I.D.: Meine wichtigste Aufgabe im Team von ABZ*AUSTRIA ist es, eine effiziente Mitarbeiterin, eine rücksichtsvolle Kollegin und ein zuverlässiges Teammitglied zu sein. Ich höre mir die Ratschläge genau an und bin jeder Kollegin sehr dankbar für die absolute Offenheit und Aufmerksamkeit. Es ist ein großer Vorteil, dass unsere Projektleiterin Vanja und alle Kolleginnen absolut offen für Hilfe und unterstützende Tipps sind. Das ist sehr wertvoll und hilft dabei, sich schnell anzupassen und sich auf die Arbeit einzulassen. Es ist ein Team, in dem man die Auswirkungen einer "Win-win"-Strategie wirklich spürt - indem man einer Kollegin hilft, effizienter zu arbeiten, sammelt man Erfahrungen, die die eigenen Ergebnisse unterstützen und zum gemeinsamen Erfolg beitragen.

M.B.: Was würdest du deinen Landsfrauen wünschen, die kriegsbedingt nach Österreich/Wien gezogen sind?
I.D.: Ich bewundere und schätze die ukrainischen Frauen über alle Maßen. Sowohl diejenigen, die in der Ukraine geblieben sind, als auch diejenigen, die gezwungen waren, nach Österreich und in andere Länder der Welt zu ziehen. Als Wunsch möchte ich ihnen heute das Zitat von Coco Chanel mit auf den Weg geben, die sagte: "Alles liegt in unseren Händen, und deshalb dürfen wir sie nicht hängen lassen". Ich möchte meinen vertriebenen Landsfrauen wünschen, dass sie sich ihrer Stärken immer bewusst sind, an sich glauben und wissen, dass es Menschen gibt, die bereit sind, zu helfen und zu unterstützen. Gemeinsam sind wir eine große Macht!

M.B.: Iryna, vielen herzlichen Dank!

Das Interview wurde konzipiert, durchgeführt und übersetzt von Maria Brandt.